In unserer Reihe "Drei Fragen an..." befragen wir Menschen aus urbanen Räumen nach Ideen zur inklusiveren Gestaltung der Stadt. Dieses Gespräch führten wir mit Stephan Link, Pressesprecher von Bündnis 90/Die Grünen Würzburg.
MLM: Was bedeutet inklusive Stadt für dich? Und wie wichtig ist dieses Ziel?
SL: In unserer Stadt sollen alle Menschen in ihrer individuellen Vielfalt gut miteinander
und nebeneinander leben können. Solidarität, Teilhabe, Selbstbestimmung und Toleranz sind die Prinzipien der Inklusiven Stadt.
Die Aufmerksamkeit des Stadtrats und der Verwaltung ist nicht nur auf die individuellen Bedürfnisse der Vielfältigen Gruppen gerichtet, sondern besonders auch auf die Förderung wohlwollender Interaktionen, des Miteinanders, der Begegnung und des fruchtbaren Austauschs zwischen den Gruppen. Neben den am stärksten eingeschränkten Gruppen, wie den Menschen mit Behinderung und den Alten und Pflegebedürftigen, braucht die Stadt Konzepte für die Verbesserung der Wohn- und Lebenssituation von Kindern und Familien, für Jugendliche und junge Erwachsene, genauso wie für Migrant*innen und für Mittel- und Obdachlose. Die Bereitstellung ausreichender Finanzmittel hierfür muss auch in wirtschaftlich schlechten Zeiten gewährleistet sein, insbesondere auch zur Unterhaltung von Frauenhäusern, Suchtberatungsstellen und Obdachloseneinrichtungen. Geschlechtergerechte Politik kann sich nicht nur auf „gleiche Arbeit, gleicher Lohn“ beschränken. Strukturelle Ungleichheiten müssen identifiziert und durch geeignete Maßnahmen behoben. Der Vielfalt der Lebensweisen wird durch die Förderung von Vereinen und Kultureinrichtungen Rechnung getragen, die sich auch dem Miteinander und der Solidarität mit anderen Gruppen verschrieben haben.
Die Inklusive Stadt ist die Grundlage für ein harmonisches Zusammenleben der Menschen, ein Statement für eine humanistische Gesellschaft in der jeder Einzelne ohne Diskriminierung und strukturelle Benachteiligung seinen Platz findet und sich entfalten kann.
MLM: Spielplätze für ältere Generationen, integrierte Rampen, ausgeleuchtete Parkanlagen in der Nacht, gleichgeschlechtliche Paare auf Verkehrsampeln, ein Gebetshaus für mehrere Religionen… es gibt viele Good Practices. Was würdest du einführen/dir wünschen, um aus Würzburg eine inklusive Stadt zu machen?
SL: Bezogen auf Menschen mit Behinderung sind sechs Handlungsfelder - Bildung und Erziehung, Arbeit und Beschäftigung, Bauen und Wohnen, Mobilität, Kultur/Freizeit/Sport - von der Stadt nach einem Aktionsplan zu bearbeiten, um konkrete Verbesserungen durchzuführen, Das beginnt bei barrierefreien öffentlichen Toiletten mit Pflegeliegen, vibrationsarmen Wegen, bis zum Einsatz von Gebärdesprachendolmetscher bei öffentlichen Veranstaltungen. Insbesondere Freizeit- und Kulturveranstaltungen der Stadt sollen inklusive konzeptioniert sein um die Begegnung mit Menschen mit Behinderung möglich zu machen. Institutionell gestärkt werden die Maßnahmen durch die Stelle eines Behindertenbeauftragten.
Barrierefreiheit hilft auch den älteren Mitbürger*innen weiterhin im gewohnten Umfeld leben zu können. Hierzu gehört auch die Förderung wohnnaher Geschäfte und Gesundheitseinrichtungen, sowie die Unterstützung bei der ambulanten Versorgung. Die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum hat für ältere Mitbürger*innen eine besondere Bedeutung. Große schattenspendende Bäume und Bänke zum Ausruhen, oder öffentliche Trinkwasserspender auf vielbegangenen Wegen sind von nicht zu unterschätzender gesundheitlicher Bedeutung. Institutionell kann der Seniorenbeirat dauerhaft die Anliegen der Bevölkerungsgruppe in der Stadt vorbringen und vertreten.
Für Kinder und Familien ist der öffentliche Raum in der Stadt durch die lange Zeit vorherrschende Strassenbaupolitik immer enger geworden. Die Strasse ist schon lange kein Spielplatz mehr. Die Begegnung der Generationen findet nicht mehr statt. Wünschenswert sind nicht nur die Verbannung des Autoverkehrs aus den Wohnvierteln, sondern auch die Umwidmung von immer mehr Straßen zu Spielstrassen mit viel Grün und Orten der Begegnung. Beim Bau von Kitas und Schulen soll mehrgenerationengrechten Konzepten der Vorrang gegeben werden, um der Separierung der Generationen entgegenzuwirken. Hier sind auch Jugendhäuser und Kulturstätten mitzudenken, die besonders von jungen Erwachsenen genutzt werden. In der Baupolitik sollte die Stadt wieder die Führung übernehmen und perspektivisch 50% der Mietwohnungen besitzen. So können Mehrgenerationen-Baukonzepte, inklusive Wohnformen, Sozialwohnungsbau-Konzepte umgesetzt werden und Stadtteile lebendig und bunt gehalten werden.
Bei jeglichen Entscheidungen ist stets im Sinne des Gender Mainstreamings
die Perspektive aller Geschlechter mitzudenken, um potenzieller
Diskriminierung vorzubeugen. Die Stadt nimmt hier eine Vorbildfunktion für Gesellschaft und private Wirtschaft ein. Das beginnt bei der geschlechterparitätischen
Besetzung in städtischen Gremien und Aufsichtsräten und endet bei der Benennung
von Straßen nach verdienten Frauen. Die Gleichstellungsbeauftragten haben dabei eine unverzichtbare und wertvolle Schlüsselrolle.
Alle Lebensentwürfe müssen in einer Stadt ohne Diskriminierung möglich
sein. Homosexualität und Transidentität sind Teil unserer gesellschaftlichen
Vielfalt. Ganz aktiv unterstützt die Stadt den Christopher Street Day und engagiert sich am „Tag gegen Homophobie“. Auch ist die Förderung von LGBT*-Organisationen sowie von
Beratungsstellen im Haushalt vorgesehen.
Die Integration von Zugewanderten ist ein zentrales Anliegen der Stadt. Wichtige Aspekte bei der sozialen Eingliederung von Mitbürger*innen aus fremden Herkunftsländern und
deren Nachkommen in unsere Gesellschaft sind vor allem Sprache,
Bildung, Arbeitsmarkt, Partizipation, Werte und Identifikation. Der Begriff
Integration umfasst zudem eine sukzessive Gleichstellung zu anderen
Einwohner*innen in Rechten, Pflichten und Chancen. Auf Seiten der Stadt kann durch Förderung der interkulturellen Kompetenz der Mitarbeiter ein wesentlicher Grundstein für eine gute Kommunikation mit den Zugewanderten gelegt werden. Wichtig ist die Schaffung, Pflege und der Ausbau von Begegnungsräumen zum gegenseitigen Kennenlernen
und kulturellen Austausch, z.B. für Jugendliche oder für Frauen, die ohne Sprachkenntnisse
nur in den eigenen vier Wänden bleiben oder auch für alte Menschen, die es besonders schwer haben, in der neuen Umgebung, Sprache und Kultur Fuß zu fassen. Die Integrationsbemühungen können institutionell gestärkt werden durch die Stelle einer Freiwilligenkoordination, um Initiativen und individuellen Freiwilligen bei den vielfältig nötigen Unterstützungen von Zugewanderten Hilfestellung zu geben.
MLM: Zum Abschluss: Deine Lieblingsstadt/-städte?
SL: Oslo, Amsterdam, Freiburg, Wien, Zürich, Kopenhagen.
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Foto (c) Stephan Link